25.10.2021

Unzulässige Quittierung der Postzustellung durch den Postboten bei Gerichtsurkunden

von MLaw Adina Jülke

Die Corona-Pandemie zieht nebst vieler anderen Folgen auch Unmengen an juristischen Angelegenheiten nach sich. Das Bundesgericht hatte sich jüngst mit einer sich daraus ergebenen Problematik im Bereich Zustellung von eingeschriebenen Sendungen zu beschäftigen. So eröffnete im zu beurteilenden Fall das Kantonsgericht Zug den Konkurs gegen die Beschwerdeführerin in einer Konkursverhandlung in absentia. Die Beschwerdeführerin machte daraufhin beim Obergericht des Kantons Zug geltend, dass ihr die Anzeige zur Konkursverhandlung gar nie zugestellt wurde und sie deshalb ihren Standpunkt nicht habe geltend machen können. Das Obergericht wies die Beschwerde ab, weshalb die Beschwerdeführerin beim Bundesgericht Beschwerde in Zivilsachen erhob. 

Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil vom 23. August 2021 fest, dass die genügende Anzeige der Konkursverhandlung absolut notwendig sei (vgl. BGE 138 111 225 E. 3.4; Diggelmann, in: Kurzkommentar SchKG, 2. Aufl. 2014, N. 1 zu Art. 168). Die Lehre unterstellt die Anzeige zur Konkursverhandlung vor Gericht dem Zivilprozessrecht (Diggelmann, a.a.O., N. 2 zu Art. 168) oder geht zumindest stillschweigend davon aus (Nordmann, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl. 2010, N. 8 ff. zu Art. 168; Stoffel/Chabloz, Voies d'exécution, 3. Aufl. 2016, § 9 Rz. 56). Die zugrunde legenden Regelungen finden sich in Art. 138 ff. ZPO. So erfolgt die gerichtliche Zustellung von Vorladungen durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung (vgl. Art. 138 Abs. 1 ZPO). Der Adressat selber oder bei Nichtvorliegen einer persönlichen Zustellung eine angestellte oder im gleichen Haushalt lebende mindestens sechzehnjährige Person hat die Sendung entgegenzunehmen (Art. 138 Abs. 2 ZPO). Hat der Adressat mit der Zustellung einer gerichtlichen Urkunde zu rechnen, so gilt sie am siebten Tage nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als zugestellt (Art. 138 Abs. 3 lit. a). Mit einer Vorladung zur Konkursverhandlung hat der Schuldner zwar nicht zu rechnen (BGE 138 III 225 E. 3.2), aber dennoch bedarf es der Empfangsbestätigung, weshalb der blosse Einwurf in den Briefkasten für eine rechtsgültige Zustellung nicht genügt (Staehelin/Bachofner, in: Zivilprozessrecht, Staehelin/Staehelin/Grolimund [Hrsg.], 3. Aufl. 2019, S. 289, Rz. 22). Als formelles Erfordernis der Konkurseröffnung gilt die Zustellung der Anzeige der Konkursverhandlung vor ihrer Durchführung bei den Parteien. Dies gewährleistet die Durchführung unter Beachtung der verfassungsmässigen Garantien, insbesondere des Anspruchs auf rechtliches Gehör (BGE 138 III 225 E. 3.3).

Im vorliegenden Fall erfolgte die Anzeige zur Konkursverhandlung per Einschreiben. Auf dem Feld «Unterschrift» fand sich die Bezeichnung «Corona iV» und eine unleserliche Unterschrift. Dabei handelte es sich nicht um die Unterschrift der Beschwerdeführerin. Aufgrund der herrschenden Corona-Pandemie ist es den Postboten erlaubt, der empfangsberechtigten Person eine eingeschriebene Sendung ohne derer Unterschrift auszuhändigen, stattdessen «Corona» zu vermerken und selber zu unterschreiben. Die Post weist aber ausdrücklich darauf hin, dass der Postbote zu diesem Vorgehen nur ermächtigt ist, wenn er die empfangsberechtigte Person antrifft und ihr die Sendung übergibt (Hinweis auf www.post.ch/de/pages/corona/faq). Wird niemand angetroffen, so ist korrekterweise – wie gewöhnlich – der Abholzettel auszufüllen und in den Briefkasten zu legen.

Die Covid-19-Verordnung vom 16. April 2020 (Covid-19-JVO; SR 272.81) sieht für Betreibungs- und Konkursverfahren die Zustellung von Mitteilungen, Verfügungen und Entscheiden ohne Empfangsbestätigung vor, wenn ein erster ordentlicher Zustellversuch gescheitert ist und der Empfänger spätestens am Vortag der Zustellung durch telefonische, elektronische oder sonstige Mitteilung über die Zustellung verständigt worden ist (Art. 7 Covid-19-JVO). Diese Ersatzzustellung ist allerdings auf die Tätigkeit der Vollstreckungsorgane begrenzt. Die Aufsichtsbehörden und Gerichte, welche im Betreibungs- und Konkursrecht Anordnungen treffen oder Entscheide fällen, sind vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, wie sich aus dem Wortlaut der Bestimmung, deren Einordnung in der Covid-19-JVO und auch aus den Erläuterungen des EJPD ergibt. Im vorliegenden Fall einer Zustellung der Vorladung zur Konkursverhandlung war damit unvermindert das gesetzliche Erfordernis der Empfangsbestätigung zu beachten (Art. 138 Abs. 1 ZPO). Das Gericht trägt die Beweislast. Dieser Beweis wurde nicht erbracht. Das Bundesgericht stellte somit abschliessend fest, dass die Beschwerde gutgeheissen wird und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zug und der Konkursentscheid aufgehoben werden. Das Kantonsgericht Zug hat die Konkursverhandlung neu anzusetzen und anzuzeigen (BGE 138 III 225 E. 3.5).

 Kommentar:

Meines Erachtens ist in Bezug auf die rechtsgültige Zustellung von eingeschriebenen Sendungen künftig vermehrt ein besonderes Augenmerk zu legen. So sind im Zuge der Abklärungen in vorliegenden Fall Stimmen laut geworden, dass es sich bei der geschilderten Problematik um keinen Einzelfall handelt und der Post regelmässig Fehler bei der Zustellung von eingeschriebenen Sendungen unterlaufen. In Anbetracht der herrschenden Pandemie sei betont, dass es sich bei der neuen Zustellpraxis von eingeschriebenen Sendungen um eine den Umständen entsprechende sichere Vorgehensweise handelt. Jeder Einzelne ist sich selber und der Gesellschaft geschuldet, seinen Beitrag zur Eindämmung des Coronavirus zu leisten. Sinn dieser neuen Zustellpraxis ist lediglich der Schutz der Gesundheit aller. Dennoch erlaubt dies nicht, nachlässig zu arbeiten und die entsprechenden Voraussetzungen für eine rechtsgültige Zustellung zu missachten. Laut mehreren Kolleginnen und Kollegen hat sich eine Zustellpraxis herausgebildet, welche keineswegs der obig beschriebenen, vom Gesetz aufgestellten Praxis entspricht. So gab es Fälle von Einschreiben im Briefkasten, ohne dass jemand aus dem Haushalt unterschrieben hätte oder selbst dann hat der Postbote nicht geklingelt, als eindeutig jemand zu Hause war. In einem anderen Fall gestand der Postbote sogar, die Zustellung eines Zahlungsbefehls eigenhändig quittiert zu haben, weil es angeblich offensichtlich gewesen sei, dass jemand zuhause sei. Laut dieses Postboten seien ihm seitens des Arbeitgebers klare Zeitvorgaben vorgegeben worden, welche eine rechtsgültige Zustellung in Abwägung zu einer raschen Zustellung, indem selber unterschrieben wird, ohne eine empfangsberechtigte Person anzutreffen, nicht gerade unterstützen. Desweiteren schildert ein weiterer Kollege die Situation, dass Akten vom Bundesgericht einfach vor der Haustüre deponiert wurden. Die Nennung dieser wenigen (negativen) Beispiele zeigt, dass nicht von einem funktionierenden Zustellungssystem in der Schweiz gesprochen werden kann.

Die geschilderte Vorgehensweise grenzt m.E. schon fast an aktive Manipulation. Sei es doch zu erwarten, unter Berücksichtigung der hohen Preise für ein Einschreiben, dass der Empfang der Sendung beim Empfänger gewährleistet wird. Die Empfangsbestätigung ist in vielen Fällen zu Beweiszwecken zentral, weshalb dieser Zweck eingeschriebener Sendungen nicht unterlaufen werden darf und dafür gesorgt werden soll, dass der Beweis des Empfangs nicht entfällt. Abzurunden ist diese Problematik mit dem Hinweis auf die Fehlerquote der Post in Bezug auf den täglichen Verlust von Briefen und Paketen, welche bekanntlich sehr hoch ist.

Summa summarum ist festzuhalten, dass es unter Würdigung dieses Bundesgerichtsentscheides vom 23. August 2021 zu hoffen ist, dass in Zukunft auf die vollumfängliche Gewährleistung rechtsgültiger Zustellungen eingeschriebener Sendungen zu hoffen ist. Die neue Zustellpraxis unter Berücksichtigung der herrschenden Corona-Pandemie erscheint unter den genannten Gründen als durchaus sinnvoll und sicher für die Gesundheit aller. Dennoch soll dies kein «Freipass» darstellen, eingeschriebene Sendungen wie normale Postsendungen zu behandeln und auf die Empfangsbestätigung seitens des Empfängers zu verzichten bzw. es so abzuändern, dass der Beweis des Empfangs entfällt. Es darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass jeder Absender gute Gründe für das Abschicken seiner Sendung per Einschreiben hat.

Rechtsanwalt Felix Hollinger von Zeltweg Rechtsanwälte vertrat in diesem Verfahren die Beschwerdeführerin.